Montag, 26. März 2018

Fairtrade Awards 2018 – Absolution für Aldi


Alle Jahre wieder verleiht die Siegelorganisation TransFair den etwas hochtrabend „Oscar des Fairen Handels“ genannten Preis an Unternehmen und Initiativen, die sich um die „faire Idee“ verdient gemacht haben. Dass in diesem Jahr nach Rewe und Kaufland (2014) und (Lidl 2016) nun auch der Discounter Aldi (Nord und Süd) den Preis in der Kategorie 'Handel' entgegen nehmen durfte, zeigt einmal mehr das Dilemma, in dem Fairtrade Deutschland mit seinem Produktsiegel steckt: Denn Aldi ist ein knallhart auf Profit ausgerichtetes, global operierendes Unternehmen, für das Fairer Handel solange interessant ist, solange man damit Geld verdienen kann. Dafür stellt man sich einige fair gehandelte Waren ins Regal, macht entsprechend Werbung und lässt sich auf Veranstaltungen wie dem Fairtrade Award feiern. Kleiner Aufwand, großer Ertrag! Die Message: Aldi macht was. Aldi ist sozial engagiert, ein guter Discounter. Nun gibt es leider keine guten Discounter, denn die Geschäftsidee, die dem Prinzip Aldi, Lidl & Co. zugrunde liegt sind Billigpreise – zumindest billiger als bei der Konkurrenz. Und für billige Preise muss irgendwo auf der Welt jemand zahlen. Sei es die Umwelt, die durch pestizidgeschwängerte Monokulturen und antibiotikaverseuchte Megaställe Schaden nimmt, Kleinbauern, die im Kampf gegen die Großplantage nebenan den Kürzeren ziehen oder Näherinnen, die mit Löhnen weit unter Existenzminimum auskommen müssen. 

Ein Pakt mit dem Gegner

Wenn Aldi nun ein Dutzend fair gehandelte Produkte ins Sortiment aufnimmt, stellt sich die Frage: Was ist mit den anderen mehr als 1000 Produkten, die eine Aldi-Filiale anbietet? Einfache Antwort: Leider meist unfair produziert, darunter Billigbananen aus Ecuador, Billigkakao aus Afrika sowie Billigkleidung und Billigelektronik aus Asien. Aldi steht – ebenso wie alle anderen Discounter – für ungerechte globale Handelsstrukturen, für Lohndumping, für Naturzerstörung. Missstände gegen deren Beseitigung der Faire Handel ursprünglich angetreten ist. Das Problem für Fairtrade: Um den Bekanntheitsgrad des Siegels hoch zu halten und um wachsen zu können, ist man mittlerweile auf die großen Handelsketten angewiesen. Man verbündet sich mit dem Gegner von damals, um das eigene Überleben zu sichern. Und dies bereits seit 2006, dem Jahr, in dem Lidl als erster Discounter Fairtrade-zertifizierte Produkte mit ins Sortiment aufnahm. Auf den ersten Blick eine win-win-win-Situation: Die Fairtrade-Bauern setzen größere Mengen ihrer Produkte ab, Fairtrade wächst und Aldi, Lidl & Co. waschen sich rein.  In der Begründung der Jury zur Verleihung des Fairtrade Awards an Aldi heißt es: „Der Discounter macht eine Vielzahl  fair gehandelter Waren für jeden zugänglich – mit eigens kreierten Fair-Handels-Eigenmarken, bietet Infos für Mitarbeiter und Kunden und unterstützt Projekte in den Anbauländern.“ Klingt toll, ist aber an Banalität kaum zu überbieten:

Wie genau engagiert sich Aldi?

Fair gehandelte Produkte waren auch vor der Preisverleihung an Aldi für jeden zugänglich – unter anderem bei der Konkurrenz, bei Supermärkten, bei Bio- und Weltläden. Und auch Eigenmarken sind im Handel nicht gerade etwas Neues, sondern werden schon seit Jahren bewusst eingesetzt, um Exklusivität und Kundenbindung zu schaffen. Die nächste Sensation ist nun, dass Aldi sogar Infos zu den fairen Produkten für Mitarbeiter und Kunden bereit hält. Wer hätte das gedacht! Aldi und Informationen. Danke Aldi für so viel Engagement. Zudem hilft Aldi auch vor Ort. Sagt zumindest TransFair in seiner Pressemitteilung zu den Fairtrade Awards. Was genau Aldi Süd macht, bleibt nebulös. Auf der Aldi Süd Webseite findet sich hierzu … nichts! Bei Aldi Nord bleibt es bei Allgemeinplätzen. Beispiel Kaffee: „Die Unternehmensgruppe ALDI Nord setzt seit Ende 2016 bereits 30% nachhaltig zertifizierte Rohkaffees für Eigenmarkenartikel ein; diese sind nach UTZ, Fairtrade, Rainforest Alliance oder Bio zertifiziert.“ Keine Information, wie sich die Siegel prozentual aufgliedern, keine Information wie hoch der Anteil gesiegelter Kaffees bei den anderen Marken ist, die Aldi anbietet, wo genau Aldi den Kaffee kauft und auch keine Preiskalkulation, die darlegt, wie groß der Einsatz für den Handel wirklich ist. Transparenz, vor einigen Jahren Motto der Fairen Woche, bleibt weiter ein Fremdwort für Discounter. Das geht auch kaum anders, denn wäre man ehrlich, würde man schnell die Kundschaft vergraulen. Und somit weniger Profit machen. So bleibt es weiter ein großes Geheimnis, was Aldi und Co. an Kaffee, Schokolade und Bananen aus Fairem Handel verdienen. Doch es geht auch anders: So präsentieren Unternehmen wie der Fairhandelsimporteur Gepa oder der Bananenspezialist BanaFair auf ihren Webseiten Preiskalkulationen zu Produkten wie Kaffee, Orangensaft, Kakao oder Bananen.

Dumpingpreise auch bei fairen Produkten

Dass Aldi auch bei fair gehandelten Produkten reflexartig auf billig macht, zeigt der Werbespruch zur hauseigenen Marke ONE WORLD: „Faire Produkte zum kleinen Preis“. Versucht wird die Quadratur des Kreises. Da kann es schon mal vorkommen, dass Konkurrent Lidl eine 100 Gramm Tafel Schokoldade mit Fairtrade-Siegel im Angebot für 0,39 Euro verkauft. Gutes Gewissen zum Dumpingpreis. Dass der Kakao, der in diesem Produkt ohnehin nur in mikroskopisch kleinen Mengen enthalten ist, aus dem Fairtrade-Rohstoffprogramm stammt, dessen eigens hierfür entworfenes Siegel dem Original täuschend ähnlich sieht, fällt den meisten Konsumenten wohl nicht auf. Lediglich der kleine Schriftzug „Fairtrade Rohstoffprogramm“ unter dem Siegel gibt einen Hinweis darauf, dass eben nur der Kakao, aber keine anderen Bestandteile dieser Schokolade aus Fairem Handel stammen. Bio gibt es zu diesem Preis ohnehin nicht.

Was Fairtrade kann und was nicht

Und die Erzeuger im globalen Süden? Sie profitieren auch – ein wenig. Noch bleibt TransFair den Nachweis schuldig, dass sein Sozialsiegel Bauerngemeinschaften dauerhaft aus der Armut geholt hat. Keine Frage: Mit Hilfe der Fairtrade-Prämie, einem Preisaufschlag für Gemeinschaftsprojekte, konnten einzelne Kooperativen Verarbeitungsmaschinen anschaffen, die Produktion auf Bio umstellen oder Sozialprojekte in ihren Dörfern verwirklichen. Mehr aber auch nicht. Die Lage vieler Kooperativenmitglieder ist prekär: Viele Bauern haben viel zu kleine Flächen zum Anbau, als dass der Mindestpreis-Effekt des Siegels zum Tragen käme, sie geben viel Geld für immer mehr Zertifizierungen aus, um ihre Ware dann doch mangels Nachfrage zu konventionellen Preisen loszuwerden und sie können was die Kosten betrifft vielfach mit technisch hochgerüsteten Großplantagen nicht mithalten. Nicht zu vergessen die Folgen des Klimawandels, der besonders Ländern des globalen Südens zu schaffen macht.  

So gut wie niemand muss beim Discounter einkaufen

Soll ich nun beim Discounter einkaufen, oder nicht? Das ist eine Frage der Prioritäten, des Verstehens globaler Zusammenhänge, der Ehrlichkeit zu sich selbst und nur in einigen wenigen Fällen des Geldbeutels. Der Großteil der deutschen Bevölkerung könnte locker einen Bogen um die Discounter machen. Denn die Lebensmittelpreise machen nur einen kleinen Teil der monatlichen Ausgaben aus, und die meisten Menschen verdienen genug, um auch anderswo fair, bio und regional einzukaufen. Wer beim Discounter shoppt, weiß in der Regel, was er tut und er weiß meist auch, was für einen Schaden er damit anrichtet. Zu wenig wissen viele Konsumenten hingegen über den Fairen Handel, seine Siegel und seine verschiedenen Ansätze. Denn Fairer Handel ist viel mehr als nur Fairtrade. Kennen Sie die WFTO, die World Fair Trade Organization, die nicht nur Produkte, sondern das ganze Unternehmen auf Fairness überprüft? Kennen Sie den Fair-Standard des Bio-Zertifizierers Naturland? Das Hand-in Hand-Siegel von Rapunzel? Oder gar das relativ neue Kleinbauernsiegel, das weltweit einzige Label, das den Bauern gehört und mit dem sie ihre Produkte von Plantagenware unterscheiden möchten. Falls die Antwort zu einer oder mehrerer Fragen Nein lautet, ist es an der Zeit, sich zu informieren. Statt Lidl, Aldi, Netto und Penny reicher und mächtiger zu machen, kaufen sie doch lieber im Weltladen um die Ecke, dem kleinen Bioladen, dem Hofladen vor der Stadt, bei Reformhäusern und Fairhandelsorganisationen. Zukünftige Generationen und die Umwelt werden es ihnen danken.  
Quelle: Fair einkaufen - aber wie?, Foto Katalog: CIR