Sonntag, 21. Februar 2016

Neues Fairtrade-Modelabel: Ärger vor der Einführung



Die Dachorganisation von Max Havelaar (in Deutschland: TransFair) arbeitet an einem neuen Label für Textilien. Die Einführung steht kurz bevor. Kritiker werfen dem geplanten Fairtrade-Standard Irreführung und Verantwortungslosigkeit vor.

Es sind Bilder, die niemand, der sie gesehen hat, vergessen wird: die Aufnahmen von verschütteten Näherinnen und Arbeitern nach dem Einsturz des Rana Plaza nahe der Hauptstadt Dhaka in Bangladesch. Eine achtgeschossige Textilfabrik, in der Marken wie Benetton, C&A und Mango Kleider produzieren ließen. Das Unglück forderte über 1100 Menschenleben, 2438 wurden verletzt. Es setzte verschiedene Projekte in Gang, um die Textilfabrikation humaner und nachhaltiger zu gestalten. Einen weiteren Schritt in diese Richtung will jetzt die internationale Fairtrade-Organisation unternehmen, unter deren Dach Max Havelaar in der Schweiz angesiedelt ist. Bereits seit 2005 gibt es Produkte mit Fairtrade-Baumwolle von Max Havelaar. Trägt ein T-Shirt das Max-Havelaar-Label, ist sichergestellt, dass die verwendete Baumwolle unter fairen Bedingungen gepflückt, entkernt und weiterverarbeitet wurde. Fair heißt unter anderem, dass den Produzenten ein kostendeckender Preis für ihr möglichst umweltschonend hergestelltes Produkt bezahlt wird und sie ferner eine Prämie erhalten, die für soziale Projekte und Infrastruktur eingesetzt wird. Das heute verwendete Label für Fairtrade-Baumwolle ist aber keine Garantie, dass das Kleidungsstück auch unter fairen Bedingungen genäht worden ist und bis in den Laden die Fairtrade-Standards durchgängig eingehalten wurden. Dies will das neue Fairtrade-Label für Kleider leisten. Die ersten Vorbereitungen dafür reichen bis ins Jahr 2005 zurück. Nun steht die Einführung bevor. «Die Fertigstellung des Standards ist für Ende März vorgesehen», bestätigt Claudia Brück, Sprecherin der internationalen Fairtrade-Dachorganisation.

Kritik aus den eigenen Reihen

Jetzt, kurz vor der geplanten Einführung, wird Kritik am geplanten Label laut. Federführend ist dabei die international agierende Clean Clothes Campaign (CCC), die in der Schweiz von der Erklärung von Bern (EVB) getragen wird. Kritik aus den eigenen Reihen also, denn auch die CCC setzt sich für bessere Arbeitsbedingungen in der Bekleidungsindustrie ein und wurde für die Erarbeitung des neuen Standards angehört. Die Vorbehalte gegenüber dem neuen Standard sind vielfältig. Sie beginnen damit, dass es sich bei Fairtrade bislang um reine Produktlabels handle. Das funktioniere bei nicht verarbeiteten Produkten wie etwa Bananen. Bei Erzeugnissen mit komplexer Lieferkette sei es hingegen sehr viel schwieriger, mit dem Fairtrade-System bessere Bedingungen zu erzielen. Die Kontrolle, ob die Fairtrade-Kriterien eingehalten werden, sei dann sehr zeitaufwendig und kostenintensiv – mit der Gefahr zu scheitern. Zudem erlaube der Ansatz mit einem Produktlabel, dass Firmen nur in einzelnen ausgewählten Produktionsketten arbeiten, statt gleich das ganze Unternehmen auf Fairtrade-Bedingungen umzustellen. «Sie müssen also ihr Geschäftsmodell, das vielfach für Arbeits- und Menschenrechtsverstöße direkt mitverantwortlich ist, nicht anpassen», sagt Oliver Classen von der Erklärung von Bern. Will heißen, dasselbe Unternehmen könnte faire T-Shirts herstellen und gleichzeitig Jacken, die diesen Kriterien nicht entsprechen.

Fair und unfaire Produktion in der gleichen Fabrik

Kritik gibt es zudem bei den Löhnen. Es sei zwar vorgesehen, einen existenzsichernden Mindestlohn zu bezahlen. «Doch die genaue Höhe dieses Lohns ist bisher nicht klar, und es fehlt eine langfristige Umsetzungsverantwortung der Markenfirmen», sagt Classen. Er stört sich auch daran, dass der neue Fairtrade-Standard eine sechsjährige Übergangszeit einräumt, während der sich die Partnerfirmen bereits mit der Teilnahme am Programm brüsten können, selbst wenn noch kein existenzsichernder Lohn auf allen Wertschöpfungsstufen bezahlt wird. «Das ist inakzeptabel gegenüber dem Fabrikpersonal und irreführend gegenüber den Konsumenten.» Laut Classen besteht die Gefahr, dass Markenhersteller sogenanntes White Washing betreiben könnten. Das heißt, der Hersteller zertifiziert eine Produktlinie für Fairtrade und fokussiert sein Marketing darauf. Dadurch kann dann die ganze Marke von einem Fairtrade-Anstrich profitieren. Grundsätzliche Bedenken hat die EVB bei den Kontrollen, die sicherstellen sollen, dass nach den Fairtrade-Kriterien gearbeitet wird. «Solche Audits sind immer nur Momentaufnahmen», sagt Classen. Es seien keine Garantien zur Einhaltung der grundlegenden Arbeits- und Menschenrechte. «Besser wären verbindliche, überprüfbare und einklagbare Abkommen zwischen den Gewerkschaften in den Ländern und den globalen Markenherstellern.»

Fairtrade wehrt sich

Bei der Dachorganisation von Max Havelaar, Fairtrade International, lässt man die Kritik nicht gelten. Der neue Standard werde von einem Beratungsprogramm begleitet. Damit sei gewährleistet, dass man nicht nur einmal pro Jahr bei den Textilunternehmen vor Ort sei. «Wie überall im Fairtrade-System sollen die Kontrollen auch bezahlbar sein. Zudem gibt es Kooperationen mit Gewerkschaften, lokalen Partnern und anerkannten Industrieexperten – damit entsteht ein umfassender Ansatz», sagt Fairtrade-Sprecherin Claudia Brück. Bei der Festlegung der existenzsichernden Löhne werde auf die Voraussetzungen im jeweiligen Land eingegangen. Dass eine Übergangsfrist für die Anpassung der Löhne gewährt werde, habe sich bereits in anderen Bereichen bewährt: «Eine sofortige Zahlung von existenzsichernden Löhnen würde dazu führen, dass die entsprechenden Unternehmen von der Kostenstruktur her nicht kompetitiv wären, während konventionelle Unternehmen keinerlei Schritte in Richtung höhere Löhne unternehmen. Damit würde man die willigen Unternehmen bestrafen und aus dem Markt drängen», sagt Brück. Sie verspricht zudem, dass gegenüber den Konsumenten transparent gemacht werden soll, wenn ein Hersteller noch keine existenzsichernden Löhne zahle und erst auf dem Weg sei, die Kriterien zu erfüllen: «Labelling und Kommunikation sind noch in Entwicklung – dabei geht es auch darum, den Konsumenten einerseits eine bewusste Kaufentscheidung zu ermöglichen und andererseits keine Übererwartung zu wecken.»

Gibt es den Mittelweg?

Der Fairtrade-Standard soll unabhängig davon eingehalten werden, wie hoch der prozentuale Anteil an der Produktion und der Verkäufe ist. «Das ist eine starke Motivation für Unternehmen, möglichst viele nach dem Fairtrade-Standard produzierte Textilien zu verkaufen», so Brück. Gegen «White Washing» werde man aktiv vorgehen. Jene Firmen, die beim neuen Textilstandard mitmachen wollen, müssen ihre Kommunikation nach außen mit der Fairtrade-Organisation abstimmen. Dass verbindliche und einklagbare Abkommen zwischen Gewerkschaften und Unternehmen ein griffigeres Mittel wären, räumt auch Brück ein. Sie relativiert aber, dass solche Abkommen keine Chance hätten, in der Textilindustrie akzeptiert zu werden. Das wisse man aus den Konsultationen zum Standard, und das habe sich auch bei den Praxistests des Standards in verschiedenen Unternehmen gezeigt. Zwischen den Positionen der internationalen Fairtrade-Organisation und der Clean Clothes Campaign scheinen Welten zu liegen. Einen Versuch, die beiden Kontrahenten zu versöhnen, unternimmt Tobias Meier vom Hilfswerk Helvetas: «Die beiden Organisationen sind uneins über den besten Weg zu mehr Nachhaltigkeit.» Die CCC ist laut Meier der Meinung, es brauche dafür ein neues Wirtschaftsmodell. Fairtrade wolle den Weg zusammen mit Herstellern und weiteren Akteuren gehen. «Am Schluss», so der Fairtrade-Experte, «ist jeder Schritt gut, der die Situation für die Angestellten in der ganzen Wertschöpfungskette verbessert und ihre Rechte stärkt.»
Quelle: tagesanzeiger.ch