Freitag, 24. Mai 2013

Brand- und Einsturzkatastrophe in Bangladesch: Wie die Textilbranche reagiert – Interview Teil 1


1.200 Tote, 2.500 Verletzte – auf den Einsturz einer Textilfabrik in Bangladesch Ende April sowie jüngst den Brand in einem Nähwerk in Kambodscha hat die internationale Textilbranche mit einem Brand- und Gebäudeschutzabkommen reagiert. Diesem sind neben KiK, Aldi, Primark, G-Star auch PVH, Tchibo, Inditex/ Zara, C&A und andere beigetreten. Dieser Initiative noch nicht angeschlossen haben sich Unternehmen wie Lidl, Metro, Otto, Ernsting, sOliver, Baumhüter, NKD oder PUMA.

Die Kampagne für Saubere Kleidung begrüßt diesen Schritt als einen „Weg für mehr Sicherheit in Bangladeschs Textilfabriken“.  Und doch klammere das Abkommen viele andere wichtige Probleme in der Modeindustrie aus, kritisiert Bettina Musiolek von der Kampagne in einem Interview mit der Sächsischen Zeitung: 

Frau Musiolek, mehrere Handelskonzerne von A wie Aldi bis Z wie Zara haben sich diese Woche bereit erklärt, mehr in die Sicherheit ihrer Zulieferfabriken zu investieren. Ist nun alles gut?
  
Nein. Ein Abkommen zu unterzeichnen ist das eine. Es umzusetzen das andere. Jetzt geht es um praktische Fragen: Steuern die Firmen finanziell zu den überfälligen Reparaturen bei oder erhöhen sie die Einkaufspreise, sodass die Fabriken in Bangladesch sich die Reparaturen auch leisten können? Außerdem bleiben davon andere massive Probleme in der Bekleidungsherstellung und in den Sweatshops unberührt: Der Hungerlohn, der flächendeckend gezahlt wird – wenn er überhaupt gezahlt wird! In Bulgarien etwa erhalten Näherinnen oft keinen Lohn für ihre Arbeit, geschweige denn Sozialversicherung. Und was ist mit dem Baumwollanbau, wo Böden zerstört und Pflückerinnen vergiftet werden? 

Welche Zustände in den „Sweatshops“ prangern Sie an?

Weit verbreitet sind Probleme bei den elektrischen Anlagen in den Fabriken. Viele wurden nicht fachgerecht konstruiert. Notausgänge sind oft verstellt. Ausgänge verschlossen. Die Fabriken sind Todesfallen. Und das weiß jeder in der Branche! Hinzu kommen in der Regel Löhne, die man nur als Hungerlöhne bezeichnen kann. In Mazedonien verdienen die Näherinnen etwa 100 Euro in der normalen Arbeitszeit. Dagegen läge ein existenzsichernder Lohn bei etwa 600 Euro. Wegen dieser Billigstlöhne müssen die Frauen Überstunden bis zum Umfallen machen. In Kambodscha bleibt den Frauen nach Abzug von Miete, Kleidung, Zahnpasta und Seife noch 75 Cent pro Tag, um sich Essen zu kaufen. Die Frauen sind chronisch unterernährt. Und doch auch oft die Ernährer ihrer Familien.

Textilanbieter wie H&M, Tchibo & Co. verweisen auf ihren Internetseiten gerne darauf, auf die Zahlung von Mindestlöhnen und eine saubere Produktion zu achten. Alles Lug und Trug?
  
Zum Teil ja. Die Handelsketten bezahlen Auditfirmen, die Fabriken prüfen sollen. Alle jüngst eingestürzten und abgebrannten Fabriken sind von solchen Prüfern zertifiziert worden. Wieviel soll man also auf solche Prüfungen geben? Und doch gibt es große Unterschiede zwischen den Handelshäusern. Einige, wie Hess Natur oder Jack Wolfskin, sagen, „o.k., wir brauchen unabhängige Kontrollen, alles andere ist nicht glaubwürdig“. Sie schließen sich unabhängigen Organisationen an, die ihnen auf dem Weg zu Menschenrechten in der Mode helfen und ihre Fabriken anschauen, ohne sich bestechen zu lassen. Doch auch diese unabhängigen Kontrollorganisationen würden nie eine Garantie übernehmen oder behaupten, „alle Kleidungsstücke, die unsere Mitglieder nähen lassen, sind ‚sauber‘“. Wenn Ihnen jemand so etwas sagt, müssen bei Ihnen alle Alarmglocken angehen! Dennoch bin ich überzeugt: Man kann die Herstellung von Textilien kontrollieren! Aber dazu braucht es mehr Anstrengungen als bisher von den meisten Handelsketten. Der ständige Preisdruck der Händler ist mörderisch. Den Fabriken bleibt oft nichts anderes übrig, als unter den Entstehungskosten zu produzieren. Die Leidtragende ist die Näherin am Ende dieser Kette.